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"Und sie stelln dich, Henry Higgins, an die Wand, und der King sagt, Liza, heb die Hand … Dann ziehlt allet uffs Jemäuer, ick ruf Achtung, los, Feua" Als ich neulich auf der Karl-Marx-Straße meinen Weg durch die Menschenmassen zu machen versuchte, hatte ich plötzlich einen merkwürdig schwindeligen Moment. Diese ganzen Leute schienen sich alle so ähnlich zu sein. Oder besser: Mir war es völlig unmöglich sie einzuordnen. War der Mann, der gerade an mir vorbei gelaufen war, ein neuköllner Unterschichtstyp auf dem Weg zum Kiosk oder handelte es sich bei ihm um einen New Yorker Künstler, zu dessen Ich-Performance einfach dieses Outfit gehört? Das selbe Problem kennen wir Weltenbürger ja auch aus Brooklyn oder Barcelona. Da schwimmt alles zu einem einzigen ironischen Brei zusammen. Gardinenkneipen, Kreative, Partys, Mord und Totschlag, Müll und Kunst.
Ich sprach darüber dann mit meiner Hausärztin und die sagte mir, sie habe genau in einem solchen Moment entschieden, Wohnsitz und Praxis vom Kottbusser Damm noch Charlottenburg zu verlegen. Das ist einfach alles so anstrengend. Auch, dieses in alle Gesichter einbetonierte ironische Lächeln. ich werde mir also eine neue Ärztin suchen müssen.
Als unsichtbare Schicht bezeichnete ein Faz-Autor einmal die Unterschicht. Das kann nur jemand sagen, der in Wilmersdorf sein Auto im Garten besteigt und am Springerhochhaus aus der Tiefgarage mit dem Fahrstuhl in die Redaktion fährt. Geht hier doch einfach mal eine Runde einkaufen. Zur Einstimmung auf einen Spaziegang in Nordneukölln empfehle ich vorab den Roman "
Hinterhofhelden" von Johannes Groschupf. Und wer meint, dass das alles witzig wäre, einige Sommernächte in einer neuköllner Wohnung mit Schlafzimmer zum Hof.
Mein Hof jedenfalls kommt mir vor wie "the ministry of silly noise". Irgendwann im Juli wurde einer meiner Nachbarn langsam an irgendetwas irre - vielleicht an der Liebe. In einer Endlosschleife hörte er ab dem frühen Abend und in brüllender Lautstärke ein klagendes Lied von Khaled, der einmal den Hit
Aisha gelandet hatte. Manchmal schaltete er auch zwischendurch und mitten im Stück ab. Dann wieder, nach wenigen Minuten ging es von vorne los. Am Morgen dann erwachte ich wieder mit dem gleichen Lied im Ohr, und es war, als würde sich ein Messer in meinem Magen hineinwühlen, etwas meine Brust zusammenschnüren.
Mehrfach haben die jungen Leute im Quergebäude - ich nenne sie einfach die Spanier - rauschende Feste gefeiert. Die Lautstärke mit der die Musik noch morgens um 7 gespielt wurde, ließ eine PA aus der O2-Halle vermuten. Und im zweiten Hof gibt es einen "Flaschenwerfer", wie mein Hausmeister Herr Pilarski diese Neuköllner Pflanze nennt. Er sgt: Da kann man nichts machen. Manchmal rufen wir seinen Sozialarbeiter an. Passiert dann aber auch nichts.
Mein Lieblingsnachbar (ich glaube auch da Spanisch zu verstehen) quatscht jeden Morgen jemanden voll, der dann nur sehr leise antwortet. Ich denke, es ist seine Freundin. nach ein paar Tagen hielt ich es kaum noch aus und wollte gerade ans Fenster. Da kam mir jemand zuvor und brüllte in den Hof:
Nu is aba ma jut!In diesem proletarisches Hausprojekt verstricken sich alle gemeinsam in diesen Neuköllner Sumpf. Da muss man sich nicht fragen, wer hier was ist. Hier verschwindet eigentlich nichts. Jedenfalls keine Klasse. Es gibt, so scheint es, eine Konstante des Ortes. Und die von Neukölln, die kennen wir Weltenbürger ja. Nur, dass sich hier gerade (wieder?) zwei unterschiedlichen
Armutsgruppen wechselseitig bekämpfen - die Prekären setzen auf die eigene Leistung, die Verarmten auf Statusgarantie durch den Staat. Hinzu kommt, dass sich die Grenzen von Migration und Tourismus längst aufgelöst haben. Eine aktuelle Ausstellung in der NGBK befasst sich genau mit dieser speziellen Phase der Umwälzungen in den Metropolen: Transient Spaces - The Tourist Syndrome.
Ähnlich wie in meinem Hof verläuft die Integration internationalen Partypöbels in den Gastronomien: Gestern Abend war ich noch auf einen Absacker in
Kristinas Bar. Eine Truppe gutgelaunter - aber auch wirklich so gut gelaunter ! - Engländerinnen und Schweden hatten sich dort für eine Geburtstagsfeier eingemietet. Die Party Location war stilbewusst gewählt. Zwei junge Frauen legten hinter dem Tresen auf. Auf ihren kleinen Köpfchen trugen sie Superblondi-Perücken und zogen damit das zugegeben sehr gewagte Äußere der Wirtin durch den Kakao. Die Jungs kamen im 90er-Jahre-Proll-Look. Wobei sie dafür deutlich sichtbar nur den normalen Inhalt ihres Kleiderschranks auf besonders furchtbare Weise zu kombinieren brauchten - Röhrenjeans, überall Röhrenjeans, die in den Kniekehlen hingen. Irgendwann kamen dann auch mal die Gäste - alle gleichzeitig, total spät, total besoffen und mit eigenen Getränken bewaffnet, stürmten sie den Laden. So ziemlich jeder zückte irgendwann sein Fotohändi um sich mit den Djanes und Kristina ablichten zu lassen. Als Teil der Kulisse begann sie deshalb schon bald etwas ungehalten zu reagieren, und auch, weil der Mob draußen soff und nur zum Ablachen rein kam. Sicher hielten sie diesen Laden für typisch deutsch. Dass die polnische Wirtin, neben Deutsch, Englisch, Polnisch, Französisch und Russisch auch fließend Schwedisch spricht, das war dann echt noch richtig abgefahren.
Sich etwas einzuverleiben ist ein probates Mittel, um es auszurotten oder zu vertreiben. Die alten Männer trinken schon länger nicht mehr bei Kristina - zu schwul, zu flippig die Gäste. Für die armen Neuköllner, die Leute, für die neulich eine Tazlerin mal wieder den Begriff "sozial schwach" aus der Mottenkiste holte.
Das von dem Soziologen Wilhelm Heitmeyer 2002 initiierte Projekt "Gruppenbezogene Menschenfeindlichlkeit" schloss 2007 erstmals das Phänomen der Abwertung von Langzeitarbeitslosen ein. Jeder dritte Befragte fand, man könne sich "wenig nützliche Menschen" nicht mehr leisten. "Sozial schwach" ist ein Euphemismus, der genau für diese Haltung steht. Dieser Begriff bezeichnet eigentlich einen Menschen als nicht leistungsbereit und somit nicht in der Lage, zum Wohl der Gemeinschaft beizutragen. Da war Kohl noch differenzierter, als einer bestimmten Gruppe Jugendlicher zurief: Da sind sie wieder, die alles bestreiten, nur nicht ihren Lebensunterhalt.
Da nützt es auch gar nichts, dass Herr Pilarski mit den Leuten von Barbar Aga Tee trinkt und auch mal die eine oder andere Hilfestellung gibt. Integriert werden, müsste hier jemand ganz anderes.
So, nu is aba ma jut.
Foto: Street Trash in der Reuterstraße © AH 2010
Und Text daneben: Wart´s nur ab! aus My Fair Lady in einer Berliner Interpretation von Johannes Groschupf 2009
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